Agiles Change-Management in der Lebensmittelindustrie

Inhaltsverzeichnis

Das ERP-System als Erfolgsfaktor für Resilienz

Autoren:
Taner Memet Ali – Bereichsleiter Lösungsarchitektur, GUS Deutschland GmbH
Olaf Buck – Bereichsleiter Neukundenprojekte, GUS Deutschland GmbH

Wenn wie zuletzt plötzlich Restaurants und Großküchen als Abnehmer wegfallen, bedeutet dies für Lebensmittelhersteller nicht automatisch Produktionsrückgänge und Umsatzverluste. Der Absatz verlagert sich oft nur – etwa in die heimische Küche. Je resilienter ein Unternehmen aufgestellt ist, umso flexibler kann es mit solchen rapiden Richtungswechseln umgehen. Und Resilienz wiederum speist sich aus weitgehend digitalisierten Prozessen und einer hohen Integrität der Daten.

Ein Beispiel ist Käse: Er findet den Weg auf die Teller, auch wenn Restaurants und Kantinen geschlossen sind, indem er vor allem dem Weg über die Supermärkte nimmt. Oder in sogenannten „Food Boxes“ landet, also Kochboxen, wie sie mit der COVID-Pandemie immer beliebter wurden. Für Lebensmittelhersteller, in diesem Fall Käsereien, bedeutet ein solcher Schwenk jedoch mehr als bloß andere Adressaten mit anderen Lieferadressen. Die Konfektionierung etwa muss zum Teil komplett umgestellt werden. Manchmal sind auch ganz andere Produkte und Rezepturen gefragt, schließlich sind die Bedürfnisse der Hobbyköche zu Hause meistens ganz andere als die von Großküchen.

Abrupter Wechsel bei Vertrieb und Produkten

Die abrupte Umstellung vom Großhandel auf den Einzelhandel oder Endkunden einerseits sowie die zum Teil notwendige Neukonfiguration der Produkte andererseits stellte Lebensmittelproduzenten in der Pandemie vor grundsätzliche Fragen: Ist das Unternehmen überhaupt in der Lage, die neu gewünschten Produkte herzustellen, und mit welchem Aufwand? Wie schnell kann die Umstellung vonstatten gehen und mit welchen (neuen) Partnern? Wie ändert sich die Lieferkette dadurch?

Inzwischen ist es schon ein Allgemeinplatz: Je digitalisierter ein Unternehmen arbeitet und je integrierter die digitalen Systeme und Abläufe sind, umso schneller und agiler können Unternehmen mit solchen plötzlichen Kurswechseln umgehen. Doch was bedeutet dies für die einzelnen Lebensmittelproduzenten konkret? Bei ihnen ist zuletzt das jeweilige ERP-System zunehmend in den Mittelpunkt gerückt, da es quasi als Dreh- und Angelpunkt der für eine solche Planung relevanten Daten dienen kann – auch als Verbindungsschanier zwischen Produktion und nachgelagerten Prozessen wie Logistik oder Vertrieb. So ermöglicht es zum Beispiel das Operieren mit Stücklisten sowie Rezepturen und gleicht die Produktentwicklung mit Bezugs- und Lieferquellen beziehungsweise Lagerbeständen und vorhandenen Grundstoffen ab.

Online-Shops auf dem Vormarsch

Ein großes und durch die Pandemie noch einmal zusätzlich boomendes Thema ist derzeit die direkte Anbindung von Lebensmittelproduzenten an Shopsysteme oder Online-Plattformen, auf denen sie ihre Produkte im Direktvertrieb vermarkten können. Wie lässt sich diese Konnektivität auf Knopfdruck oder mit nur wenig Konfigurationen bewerkstelligen?

Die eigentliche Herausforderung liegt dabei nicht in der bloßen technischen Anbindung an solche Plattformen. Vielmehr muss das ERP-System des Anbieterunternehmens über alle wesentlichen Informationen verfügen und diese dann auch verknüpft darstellen können. Dazu gehören zum Beispiel Stücklisten, Rezepturen, Wiederbeschaffungszeiten in Form von Vorlaufzeiten im Einkauf, Produktion, Lager, Qualitätskontrolle, innerbetrieblicher Transport, oder die Lieferzeiten von potenziell verfügbaren Lieferanten. Diese Daten stammen zum Teil aus internen Systemen, zum Teil aber auch aus externen Quellen. Dies können ganz einfache Dinge sein wie zum Beispiel eine Google-Maps-Route für Lieferungen.

Entsprechend muss das jeweilige ERP-System über sogenannte „Gatekeeper“ oder „Konnektoren“ verfügen, die externe Informationsquellen in der Regel über geeignete Schnittstellen (zum Beispiel REST-APIs) einbinden. Zum Teil handelt es sich auch um andere Konnektivitätsstandards, die sich auf der Einkaufs- wie auf der Verkaufsseite etabliert haben wie zum Beispiel EDIFACT. Solche Standardschnittstellen gewinnen derzeit rasant an Bedeutung.

ERP-Anbindung an externe Systeme

Die ERP-Lösung GUS OS-Suite zum Beispiel realisiert solche Verbindungen über den GUS-OS Digital Hub Service. Dies ist ein cloudbasierter Dienst, der die Prozesse der ERP-Lösung über REST-Schnittstellen auch außerhalb des Unternehmens zugänglich macht, um etwa Zulieferer, mobile Mitarbeiter und sogar Maschinen und IT-Systeme in die eigene ERP-Umgebung einzubinden. Dabei werden keine Stamm- oder Bewegungsdaten aus der Hand gegeben und keine sensiblen Daten in der Cloud gespeichert. Denn nur die Teile und Funktionen des ERP-Systems werden nach außen geöffnet, die für die Kommunikation notwendig sind. Darüber hinaus erfolgt die gesamte Kommunikation verschlüsselt.

Oft sieht die Realität jedoch noch anders aus: Gerade zwischen den einzelnen Abteilungen im Unternehmen existieren weiterhin zahlreiche Medienbrüche, etwa zwischen Produktion, Labor und Qualitätssicherung. Zum Teil erfolgt der Datenfluss sogar noch auf Papierbasis. ERP-Systeme sind hier in der Lage, als Integrator sowie Treiber der Digitalisierung zu fungieren und eine übergreifende Prozesssteuerung zu etablieren, die diese „Zu-Fuß-Informationen“ ins System integriert.

Deshalb bieten mittlerweile die meisten gängigen ERP-Systeme am Markt zentrale Leitstände, „Dashboards“ oder „Cockpits“ an, welche alle Daten sammeln, kumulieren und für die jeweiligen Rollen und Zuständigkeiten im Unternehmen visualisieren. Von dieser verdichteten Darstellung gelangen die Nutzer dann per „Drilldown“ zu den benötigten Detaildaten und -informationen.

Prozessorientierung als Schlüssel

Was vielen Lösungen hingegen fehlt, ist die Verknüpfung der im ERP-Leitstand dargestellten Rollen und Zuständigkeiten untereinander, kurz: die Prozesssicht. Doch nur wer statt rein belegorientiert auch prozessorientiert vorgeht, ist in der Lage, Produktions- und Vertriebsprozesse schnell und flexibel zu verändern. Denn in diesem Zug müssen abteilungsübergreifend Prozesse und ihr Zusammenspiel angepasst werden.

Dies gelingt nur, wenn vor allem auch die Verantwortlichen im Unternehmen nicht mehr in einzelnen Funktionen oder Abteilungen denken, sondern übergreifend in zusammenhängenden Unternehmensprozessen. Nicht zuletzt ist es unabdingbar, dass das jeweilige ERP-System die Branchenspezifika der Prozess- und der Lebensmittelindustrie abbildet, zum Beispiel branchenspezifische Berechtigungsmatrizen oder Compliance-Regeln. All dies verbessert in der Folge auch die Integrität und Verwendbarkeit der Daten.

Qualitätsmanagement immer wichtiger

Auch (externe) Inspektoren und Auditoren haben in den vergangenen Jahren ihren Fokus zunehmend auf Datenintegrität gelegt. Dadurch stieg die Zahl der sogenannten „Findings“. Die Abmahnungen der Firmen hat sich deshalb zuletzt verdrei- bis vervierfacht. Sie haben aus diesem Grund zuletzt verstärkt ins Qualitätsmanagement investiert – zum einen in dafür maßgeschneiderte Spezialistensysteme, aber auch in deren Anbindung an ihr jeweiliges ERP-System, bei dem alle wesentlichen Daten zusammenlaufen.

Ist ein Lebensmittelproduzent zum Beispiel überdurchschnittlich von IFS-Regularien (IFS, International Featured Standards) betroffen, muss es genügend Labormitarbeiter vorhalten. Diese müssen geschult sein, wenn sich in den QM-Prozessen etwas ändert. Zugleich müssen sie Anomalitäten erkennen und diese dann CAPA-Maßnahmen (CAPA, Corrective Actions, Preventive Actions) zuordnen können. Zu solchen Anomalitäten zählen zum Beispiel OOS-(Out of Specification-) Ergebnisse, chargenbezogene Abweichungen oder Reklamationen. Diese Zuordnung bedarf einer strukturierten und zentralen Datenbasis, die zuvorderst das jeweilige ERP-System liefern kann.

Integre Daten, transparente Prozesse

Datenintegrität und prozessorientiertes Denken und Handeln sind für eine resiliente und zuverlässige Produktion heute äußerst wichtig. Das verdeutlicht aktuell die Corona-Krise mit ihrem zum Teil deutlich veränderten Einkaufsverhalten. So hat zum Beispiel die belgische Käserei Kaas schnell reagiert: Den von den Kunden ausgewählten Käse holt Kaas auf Wunsch bei den Produzenten ab, schneidet ihn in flache briefkastengerechte Stücke, verpackt ihn vakuumgerecht und etikettiert ihn. So kann die Zustellung problemlos vom Postboten direkt in den Briefkasten erfolgen, da die Käseverpackung den Standardabmessungen der Postlieferung entspricht. Wer als Lebensmittelproduzent schnell solche Trends setzen möchte, benötigt einen reibungslosen Austausch von Daten und eine hohe Transparenz der Prozesse. Nur so lassen sich innerhalb kurzer Zeit Liefertermine nicht nur präzise kalkulieren, sondern auch einhalten. Dies sichert die Handlungsfähigkeit, auch wenn sich Märkte, Produkte, Absatzkanäle und Lieferketten dann erneut ändern sollten.

Resilienz in der Prozessindustrie – die Top 5 Erfolgsfaktoren

1) Prozessorientierung: Workflowsteuerung mit mehrstufigen Freigabeprozessen sowie deren Dokumentation

2) Durchgängige Transparenz: von der einzelnen Maschine bis zur Gewinn- und Verlustrechnung, um ganzheitlich planen und Änderungen simulieren zu können

3) Integriertes QM: Verknüpfung aller qualitätsrelevanten Abläufe wie Lieferantenbewertungen, Laborprüfungen, Beschaffungs- und Produktionsprozesse

4) Kostenkontrolle: durch vollintegrierte, nach GoB/GoBs/GDPdU geprüfte und nach IDW880 testierte Finanzbuchhaltung inkl. Anlagenbuchhaltung sowie Liquiditätsplanung, damit alle Kosten sofort verfügbar sind – von der Deckungsbeitrags- über die Chargenkostenkostenkalkulation bis hin zur flexiblen Kostenrechnung

5) Zukunftssichere Technologien: durch stetige Weiterentwicklung der Lösungen zum Beispiel im Blick auf IoT, KI oder der sicheren und flexiblen Anbindung von Geschäftspartnern, Vertriebsplattformen etc.

grafik - GUS-OS Suite - GUS Deutschland

Abbildung: Der Digital Hub der GUS-OS Suite verbindet das ERP-System mit externen Plattformen

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